Ketzereien


ISBN 9783866001701
560 Seiten, Gebunden/Hardcover
CHF 42.20
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'Die ganze ärztliche Kunst beruht auf dem Individualisieren.

Nur wer den Menschen beurteilen kann, wer

dem Kranken helfen will, ist wirklich Arzt, niemals aber

der, welcher Krankheiten erkennt und gegen Krankheiten

kämpft. Einzig und allein das Studium des Einzelnen,

des Kranken, nicht der Krankheit - ist unsere

Aufgabe.'

In diesen knappen Sätzen drückt sich die Grundeinstellung

des jungen Georg Groddeck aus. Er will Arzt sein

und nicht Mediziner, er will dem einzelnen Menschen

helfen, keine Wissenschaft betreiben. Das ist in einer

Zeit, die von den Triumphen der naturwissenschaftlichen

Medizin bestimmt ist und mehr die Krankheit

als den erkrankten Menschen im Blickpunkt hat, ketzerisch.

Als Schüler von Ernst Schweninger, ebenfalls

Außen seiter im Medizinbetrieb Ende des 19. Jahrhunderts,

kämpfte Groddeck für ein individualisiertes Behandeln

des einzelnen Erkrankten, dabei seine ganzen

Lebensverhältnisse mit einbeziehend.

Die hier veröffentlichten 37 Arbeiten aus der Zeit von

1889 bis 1908 sind teilweise gemeinsam mit Schweninger,

teils auf dessen Anregung entstanden. Vor allem

die Arbeiten bis 1896, die die universitäre Medizin

kritisieren, zeichnen sich durch einen satirischen und

polemischen Ton aus, in dem schon Groddecks ganze

sprachliche Kraft und Poetik zum Ausdruck kommt. In

weiteren Arbeiten, die vielfach als Beiträge für medizinische

Enzyklopädien erschienen, werden hydro- und

mechanotherapeutische Themen behandelt, die auch

die Grundlage für Groddecks Behandlungen in seinem

eigenen Sanatorium ab 1900 bilden. Zudem wehrt

er sich in einigen Artikeln vehement gegen staatliche

Vorschriften für das ärztliche Handeln. Ebenso dürften

seine ärztlichen Vorträge, die er in seiner militärärztlichen

Zeit hielt, nicht den Beifall seiner Vorgesetzten

gefunden haben.

In diesen frühen Schriften, die überwiegend erstmals

wieder neu veröffentlicht sind, werden bereits die Spuren

von Groddecks ärztlicher Haltung, die sein späteres,

psychoanalytisch beeinflußtes Wirken bestimmen,

deutlich: das leidende Individuum, dem der Arzt zu

dienen hat, wenn auch noch mehr als Objekt denn als

Subjekt, in den Mittelpunkt seines Handelns zu stellen.
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